Demokratur ante portas

Was ist schlimmer als eine Diktatur? Eine Diktatur im Namen der Demokratie. Letztere ist im Schwinden begriffen, erstere im Werden. Denn wer – wie die derzeitige Ampelregierung – Aufrüstung zu Lasten sozial Schwacher exerziert, Bürgerrechte entziehen will und eine Stimmung im Volk erzeugt, die Kriege wieder als Option betrachtet und zum Boykott von Medien führt (auch wenn sie russische Medien oder rechtslastig sind), ist auf dem besten Weg zur Demokratur. Cancel Culture wird dann richtig gefährlich, wenn es um die Grundrechte geht.


Bild: Ingrida Preisa | www.ingridapreisa.de

Wie es begonnen hat, werden eines Tages Historiker beurteilen. Wer schon ein paar Lebensjahre auf dem Buckel hat, wird sich daran erinnern, dass es in den 1970er und -1980er-Jahren Massendemonstrationen gegen die Aufrüstung, gegen Atomkraftwerke und für eine lebenswerte Umwelt gab. Immer vorne mit dabei: die damals junge Partei „Die Grünen„.

Die Grünen sind einige Jahrzehnte später zu einer parlamentarischen „Gurkentruppe“ degeneriert, die von Leuten geführt wird, denen es an Erfahrung, Bildung und Ausbildung, am gesunden Menschenverstand und am Kontakt zur „normalen“ Bevölkerung und deren Problemen und Sorgen mangelt. Aus den Akteuren des einstigen „zivilen Ungehorsams“ gegen die NATO-Nachrüstung sind Propagandisten der Staatsräson geworden. Sie begreifen sich als Transatlantiker und als Juniorpartner(Vizekanzler Robert Habeck) der um ihre imperiale Machtstellung kämpfenden USA. Deshalb müssen sie sich für Aufrüstung und Kriegsbereitschaft gegen die Nuklearmacht Russland einsetzen.

Ist das noch die einstige Speerspitze der Öko-Friedens-Bewegung? „Greenpeace“ war einmal, jetzt regieren die Bellizisten, die im Namen der Moral und angeblicher „westlicher Werte“ auch gerne einen Dritten Weltkrieg riskieren und dafür die „Sondervermögen“ ausgeben, die dringend benötigt würden um die Klimakatastrophe und das Artensterben zu stoppen. Denn es ist die Klimakrise, die das Überleben der Menschheit am meisten bedroht.

Wer erinnert sich daran, dass es in den 1970er-Jahren eine heftige politische Auseinandersetzung darüber gab, ob die außerparlamentarische Opposition es wagen sollte, eine Partei zu gründen? Der BUND war dagegen, bei den Grünen setzten sich spätestens nach der Wahlschlappe bei der Bundestagswahl 1990 die „Realos“ durch. Gründungsmitglieder wie Jutta Ditfurth hatten sich schon vorher von den Realos abgewandt. Andere Führungsmitglieder und Kritiker des neuen Kurses, namentlich Petra Kelly und Gerd Bastian, verzweifelten an der Partei. In einem offenen Brief schrieb Kelly von „Selbstzerfleischung“ und „lähmenden Flügelkämpfen“ der Grünen und forderte eine Rückkehr zu „authentischen grünen Prioritäten in allen Politikbereichen“. 1991 kandidierte sie für das Amt der Vorstandssprecherin der Grünen, erhielt aber nur rund 30 Stimmen. Zusammen nahmen sich Kelly und Bastian 1992 das Leben (wobei wohl vor allem Krankheiten eine Rolle spielten).

Es siegte ein Turnschuh-Minister namens Joschka Fischer, der Deutschland den Weg in den Jugoslawienkrieg und zur Beteiligung an der völkerrechtswidrigen Bombardierung Serbiens durch die angeblich nur zur Verteidigung gegründete NATO ebnete. Im Namen der Menschenrechte und der „westlichen Werte“ natürlich.

Was davon und von der unverantwortlichen Politik der „Ampel-Regierung“ zu halten ist, hat Michael Lüders in seinem Buch „Moral über alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen„, ausführlich geschildert. Er erinnert am Ende seines Werkes an die langjährige grüne Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer (1943-2023), die er mit den Worten zitiert: „Eine Zivilisation verdient diesen Namen nur, wenn sie in der Lage ist, Konflikte zivil zu lösen. (…) Der Krieg in der Ukraine macht diese Fragen dringlicher denn je. Er ist der jüngste Kulminationspunkt in den Jahrzehnte währenden imperialen Machtkämpfen, die zugleich ein fortgesetzter Krieg gegen die Natur sind.“

Vollmer kritisierte die auch in vielen Medien feststellbare „latente oder offene Bereitschaft zur zerstörerischen wie selbstzerstörerischen Eskalation„: „Ob in der militanten Machtlogik vieler Politiker, in dem Streben von Konzernen und Banken, die auf Wachstumswirtschaft und Gewinnmaximierung nicht verzichten können, bis zum munteren Konsum-Kartell, dessen Treibstoff die erpressten Dukaten der Entwicklungsländer sind, was immer mehr Menschen zur Flucht zwingt.

Dass aus der Öko- und Friedensbewegung ihr Gegenteil wurde, ist nicht unerklärlich. Die Frankfurter Schule erkannte, dass der moderne Kapitalismus in der Lage ist, jede kritische Gegenreaktion in Mode und Konsum zu verwandeln. Man denke nur an die Punkbewegung, eine der radikalsten Anti-Konsumismus-Strömungen, die in leeren Bierdosen, im Irokesen-Haarschnitt und in zerrissenen Jeans aufging.

Eine andere Erkenntnis der Frankfurter Schule bewahrheitet sich auch im 21. Jahrhundert: „Schon der Mythos ist Aufklärung, und: Aufklärung schlägt in Mythologie zurück.“

Max Horkheimer und Theodor W. Adorno postulieren in ihrer Dialektik der Aufklärung 1944 – angesichts von Faschismus und Monopolkapitalismus – die These, „dass sich bereits zu Beginn der Menschheitsgeschichte mit der Selbstbehauptung des Subjekts gegenüber einer bedrohlichen Natur eine instrumentelle Vernunft durchgesetzt habe, die sich als Herrschaft über die äußere und innere Natur und schließlich in der institutionalisierten Herrschaft von Menschen über Menschen verfestigte.“ Das Ergebnis sei die „Rückkehr der aufgeklärten Zivilisation zur Barbarei„.

Wie anders als „Barbarei“ sollte man Phänomene bezeichnen wie die Führung eines (provozierten) Angriffskrieges durch Russland in der Ukraine, die Auge-um-Auge Zahn-um-Zahn-Mentalität Israels im Gaza-Krieg oder die mitleidlose Ignoranz der Europäer angesichts zahlloser Flüchtlinge, die an der Festung Europa scheitern und im Mittelmeer versinken. Die „wertegeleitete“, „feministische“ Außenpolitik unter Ministerin Baerbock („Ich komme ja vom Völkerrecht“) ist nichts anderes als Illusion und Selbstbetrug.

Westafrikanische Länder wie Burkina Faso oder Mali vollenden derzeit in Form von Mililtärdiktaturen ihre Dekolonisation – mit Unterstützung eines Großteils der Bevölkerung, die Misswirtschaft und Korruption leid sind. Im Westen stößt dies aus nachvollziehbaren Gründen – billige Rohstoffe und Arbeitskräfte, fortwährende Dominanz der ehemaligen Kolonialmächte – auf Ablehnung. In der kommenden multipolaren Welt könnte Europa deshalb erst recht in der Bedeutungslosigkeit versinken.

Die deutsche Bevölkerung ist in ihrer Mehrheit für Solidarität mit den Menschen im Globalen Süden, für Klimaschutz, für ein Tempolimit, für soziale Gerechtigkeit und für eine vernünftige Arbeitsmigration, sofern die Einwanderer gut ausgebildet sind und integriert werden können. Sich über den Willen der Mehrheit der Bürger hinwegsetzen zu können, erfordert billige Konsumgüter, eine Demokratur und Gehirnwäsche. Wir sind die Guten.

Klaus Boldt


Kommentare

Eine Antwort zu „Demokratur ante portas“

  1. […] es eine „wehrhafte Demokratie“ braucht, um den Faschismus zu verhindern. Das ist der Weg in die Demokratur und nach meiner bescheidenen Meinung die größere […]

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